Immer wieder ist die Rede von systemischem Coaching - doch was versteht man darunter genau? Wie läuft eine Sitzung nach diesem Ansatz ab? Ein Fallbeispiel gibt Einblick.
Frau S., CFO in einem österreichischen Industriebetrieb, kommt zum Coaching-Gespräch. In letzter Zeit ist es immer wieder zu Konflikten mit dem Geschäftsführer gekommen, vor allem in Bezug auf den Zeitpunkt, zu dem Frau S. in die Planung neuer Projekte miteinbezogen wird. Frau S. schildert ein paar Vorkommnisse, aber wir verwenden nur wenige Minuten darauf, die Problemsituation zu besprechen. Es geht darum, das Anliegen des Coachees (Klient/Klientin) zu verstehen und einzugrenzen, ohne zu lange das Augenmerk auf das zu legen, was nicht funktioniert.
Im nächsten Schritt wird ein Sollzustand formuliert - sozusagen ein Bild davon gezeichnet, wo man hinwill. Was möchte Frau S. idealerweise erreichen? Woran würde sie erkennen, dass sie erfolgreich war? Nach der Erarbeitung dieser „größeren“ Zielvorstellung klären wir das Ziel für die aktuelle Coaching-Session, den sogenannten Auftrag. Das schafft Klarheit und Fokus.
Die Haltung zählt
Nun folgt das, was den Löwenanteil des Gesprächs ausmacht: die Erarbeitung einer Lösung. Wir entwickeln Kriterien für eine gute Lösung und ergründen, wie der Weg dorthin aussehen könnte. Grundlegend für den systemischen Ansatz ist dabei die Haltung des Coachs: Der Coachee ist selbst der beste Experte in seinem/ihrem System, er/sie kennt die Lösungen und Auswege. Es geht nur darum, ein Umfeld zu schaffen, damit diese Lösungen zum Vorschein kommen können.
Eine Coaching-Sitzung ist ein strukturierter Prozess. Der Coach setzt einen klaren Rahmen, innerhalb dessen das Coaching abläuft. Er steuert es durch eine Abfolge von Phasen, im Wechselspiel mit dem Coachee. Die klaren Regeln und Abläufe verhindern, dass das Gespräch zu einer reinen „Plauderei“ ohne Ergebnis wird.
Das, was vor allem in Gang kommt, ist ein Nachdenken über sich selbst, über das eigene Tun, die Art der Kommunikation, des Umgangs mit Mitarbeitern und Vorgesetzten. Wir suchen nicht nach Ursachen oder vermeintlichen „Fehlern“, sondern konzentrieren uns auf Lösungen und Ressourcen. Und das ist eines der großen benefits von Coaching: Die Gelegenheit, aus der Problemsituation herauszutreten, Abstand (auch von sich selbst) zu gewinnen und das Thema von einer Metaebene aus zu betrachten.
Ein guter Coach hat keine Antworten, sondern Fragen
Zentrales Werkzeug im Coaching-Prozess sind Fragen. Fragen, die Anstoß geben, das gewohnte Denken zu verlassen. Fragen, die herausfordern, die auf neue Bahnen führen, die vielleicht stutzig machen. Wir können anregen, das Problem aus großer zeitlicher Distanz oder mit den Augen unbeteiligter Personen zu betrachten. Wir können innere Ratgeber befragen oder mittels Figuren auf einem Brett die fragliche Situation aufstellen lassen, um Beziehungskonstellationen, Machtverhältnisse, Abhängigkeiten etc. zu verdeutlichen und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. All diese Impulse regen zum Nachdenken an, ermöglichen Perspektivwechsel und aktivieren die Lösungskompetenz des Coachees.
Nach rund eineinhalb Stunden kommen wir zum Abschluss der Sitzung. Das, was an Ideen und Möglichkeiten entwickelt wurde, gilt es in konkrete Maßnahmen zu gießen. „Was werden Sie morgen anders machen?“, lautet eine typische Schlussfrage. Das hilft dabei, die angestrebten Veränderungen in kleine Schritte herunterzubrechen, sie umsetzbar zu machen. Und Frau S.? Sie hat für sich einen Weg gefunden, wie sie ihre Expertise schon im Frühstadium einer Planung einbringen kann. Und wie sie überprüft, ob ihre Maßnahmen wirken.